der Wohnberatung in Nordrhein-Westfalen
Ende der 80er Jahre begann mit der Förderung der ersten Wohnberatungsstellen durch die Stiftung des Landes Nordrhein-Westfalen für Wohlfahrtspflege eine Entwicklung, die bis heute bundesweit ihresgleichen sucht.
Angeregt wurde der Aufbau der Wohnberatung durch Veröffentlichungen des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) zu Wohnproblemen älterer Menschen und zu den Möglichkeiten der Wohnungsanpassung. Der Kreuzviertel-Verein in Dortmund hatte seit 1986 den Arbeitsschwerpunkt „Wohnen im Alter“. Im Herbst 1988 wurde er mit einer Konzeption für eine Wohnberatungsstelle für ältere Menschen Gewinner des Wettbewerbs „Gesucht: Zukunftsberufe“. Den Wettbewerb hatte die Salzburger Robert-Jungk- Stiftung zusammen mit der „Westfälischen Rundschau“ in Dortmund ausgeschrieben. Der international angesehene Zukunftsforscher Robert Jungk war selbst zugegen und überreichte den ersten Preis: eine Reise zu der von ihm gegründeten Zukunftsbibliothek in Salzburg.
Im selben Jahr gab es Gespräche mit dem Sozialministerium des Landes. Es ging um eine modellhafte Erprobung der Wohnungsanpassung in Dortmund. Die Stiftung Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein- Westfalen erkannte das Vorhaben als förderungswürdig an; beschlossen wurde eine Erprobungsphase für die drei Jahre von 1989 bis 1992. Etwa für die gleiche Zeit wurde eine Wohnberatungsstelle der Arbeiterwohlfahrt im Erftkreis gefördert.
Ein neuer Landesaltenplan
Während der Projektzeit von 1989 bis 1992 erstellte das Sozialministerium einen neuen Landesaltenplan. Dieser setzte einen Schwerpunkt auf Maßnahmen zur Förderung der Selbständigkeit älterer Menschen. Die Wohnberatung gehörte selbstverständlich dazu. Angekündigt wurde ein Modellprojekt zur weiteren Erprobung der Wohnungsanpassung.
Im Oktober 1992 nahm dieses Projekt mit sechs Beratungsstellen seine Arbeit auf. Beteiligt waren neben dem Dortmunder Kreuzviertel-Verein und der Arbeiterwohlfahrt im Erftkreis noch die Stadt Düsseldorf, die Stadt Herford, die Verbraucher-Zentrale NRW im Kreis Lippe und die Stadt Mönchengladbach.
Der Kreuzviertel-Verein hatte zwischen dem Ende seines von der Stiftung Wohlfahrtspflege geförderten Pilotprojektes und dem Beginn des Landesmodellprojektes Arbeitshilfen für die neuen Beratungsstellen erstellt. Dazu gehörten zwei Diaserien – eine für Seniorengruppen, eine für die Weiterbildung von Fachkräften in der Altenarbeit -, ein Fortbildungskonzept und ein Handbuch zum Aufbau von Wohnberatungsstellen.
Der Verein betreute in den Folgejahren im Auftrag des Sozialministeriums auch die Erstellung von Broschüren zur Wohnberatung und zur Altenarbeit. Einige davon wie „Zu Hause älter werden“ oder der „Senioren-Wegweiser NRW“ erreichten Auflagen von 1,75 bzw. 2,5 Millionen Exemplaren und mehr und wurden von anderen Bundesländern nachgedruckt. Der Kreuzviertel-Verein war auch an der Entwicklung der Senioren-Messe NRW, die ab 1994 alle zwei Jahre stattfand, beteiligt.
Neu eingerichtet wurde für die Wohnberatung ab 1992 eine Projektkoordination in Trägerschaft der Verbraucher-Zentrale NRW in Düsseldorf. Seit 2002 obliegt die Koordination dem Bochumer Institut InWIS. Mit der wissenschaftlichen Begleitforschung wurde die Universität Bielefeld beauftragt; zuständig waren Frank Engel, Thomas Niepel und Ursel Siekendiek. Später wurde die Begleitforschung vom Sozialwissenschaftlichen Forschungs- und Beratungsinstitut (SoFoB) von Thomas Niepel weitergeführt.
Die Förderung der Wohnberatung wurde durch das Sozialministerium des Landes schrittweise ausgeweitet. Erst waren 6 Beratungsstellen in der Landesförderung, Ab 1995 erfolgte eine Ausweitung auf 12, danach auf 23 und schließlich auf 41 Beratungsstellen. Beim FTB in Wetter wurde eine Landesfachberatung für technische Lösungen eingerichtet. Als eine Vertretung der Wohnberatungsstellen nötig wurde, wurden Jutta Decarli von der Stadt Herford und Theo Hengesbach vom Kreuzviertel-Verein zu Projektsprechern gewählt.
Qualifizierung und Qualitätssicherung
Eine berufsbegleitende Qualifizierung unter Leitung wurde ab 1995 eingerichtet. Die Beratungskräfte waren verpflichtet, an den monatlichen Treffen zur Weiterbildung und zum Erfahrungsaustausch teilzunehmen. Das rasante Anwachsen des Projektes brachte aber auch das Problem mit sich, daß sehr schnell sehr viele Beratungskräfte in die Arbeit eingeführt und bei ihrer Arbeit begleitet werden mußten; eine Ausbildung zur Wohnberatung gab und gibt es ja nicht. Daher wurde das Qualifizierungskonzept um eine neue Komponente erweitert: es wurden Partnerschaften zwischen alten und neuen Beratungsstellen eingerichtet. Dabei wurden jeweils zwei Einrichtungen, die in ähnlichen Strukturen – z.B. bzgl. Trägerschaft und Zuständigkeitsbereich – arbeiteten, zusammengeführt. Sie sollten sich in der täglichen Arbeit gegenseitig unterstützen.
Die Qualifizierungen fanden in der Regel reihum in den Beratungsstellen vor Ort statt. Das hatte zur Folge, daß neben den Lerninhalten auch Informationen über die anderen Projektbeteiligten gegeben wurden. Eine Identifikation mit dem Gesamtprojekt entwickelte sich, denn alle arbeiteten gemeinsam an einer Sache: dem Aufbau der Wohnberatung in Nordrhein-Westfalen. So war es dann auch selbstverständlich, daß eine Fortbildungsveranstaltung innerhalb von drei Tagen vom Rheinland nach Ostwestfalen verlegt wurde, als die dortige Beratungsstelle politische Unterstützung zur Sicherung ihrer Existenz brauchte.
Die Themen der Qualifizierung waren breit gefächert. Es gab Aus- und Weiterbildungsangebote zu den Zielgruppen der Wohnberatung und ihren besonderen Problemen, Seminare zu methodischen Fragen und zur Finanzierung der Wohnungsanpassung, die Planung gemeinsamer Messeauftritte und anderes mehr.
In den Jahren 1999 und 2000 wurden von ausgesuchten Beratungskräften mit Hilfe von Werner Gäpfert-Divivier/ISPO Saarbrücken in intensiver Arbeit Qualitätsstandards für die Wohnberatung erarbeitet.
Dauerthema Finanzierung
Die Finanzierung der ersten Pilotphase der Wohnberatung erfolgte über die Stiftung Wohlfahrtspflege des Landes. Mit Beginn des Modellprojektes 1992 übernahm das Sozialministerium die Förderung; beteiligt waren auch die Städte und Kreise, in denen es Wohnberatungsstellen gab. Ab 1996 wurden die Kosten der Beratungsstellen zu je einem Drittel vom Land, von den Städten bzw. Kreisen und von den Pflegekassen getragen.
Diese Finanzierung wurde bzgl. des Pflegekassenanteils aus formalrechtlichen Gründen ab 2001 geändert. Für die Beratung Pflegebedürftiger wurden nur noch Einzelfallpauschalen gezahlt. Da diese nicht kostendeckend waren und zudem den Zuschuß, den Pflegebedürftige für Umbaumaßnahmen in ihrer Wohnung beantragen konnten, minderten, hatten fast alle Beratungsstellen erhebliche Defizite. Einige Beratungsstellen mußten ihre Arbeit einstellen.
Dank der Bemühungen des Sozialministeriums NRW beteiligten sich die Pflegekassen ab März 2005 wieder an der Finanzierung der Wohnberatungsstellen; diese bekamen dadurch als neuen Arbeitsschwerpunkt die Beratung für Demenzkranke und ihre Angehörigen.
Wohnberatung fast flächendeckend in NRW
Inzwischen war auch neben dem Landesprojekt eine große Zahl weiterer Wohnberatungsstellen entstanden. Der Ausbau der Wohnberatung war nicht mehr nur von der Landesförderung abhängig. Aus diesem Grund und speziell mit der Absicht, die Kooperation und die gegenseitige Hilfe der Beratungsstellen zu verbessern und eine politische Interessenvertretung aufzubauen, wurde auf Initiative des Kreuzviertel-Vereins im Mai 1999 die Landesarbeitsgemeinschaft Wohnberatung NRW gegründet.
Einhundert Wohnberatungsangebote gibt es zur Zeit in Nordrhein- Westfalen – mehr als in jedem anderen Bundesland. Diese Beratungsstellen sind bei Wohlfahrtsverbänden, Kommunen, Kreisen, Wohnungsunternehmen, Vereinen und anderen Trägern angesiedelt. Ihre Arbeitsbedingungen sind sehr unterschiedlich.
Das berücksichtigte auch das Perspektivenpapier LAG Wohnberatung NRW, das im Jahr 2001 beraten und verabschiedet wurde. Mit der Unterstützung von Fachleuten aus dem kommunalpolitischen Bereich wurde errechnet, wie viele Arbeitsplätze nötig sind, um auf seriöse Weise flächendeckend in jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt Nordrhein-Westfalens Wohnberatung anbieten zu können. Das Ergebnis war erstaunlich: wenn man Zuständigkeitsbereiche und Stellenbesetzungen geringfügig korrigierte, brauchte man nur relativ wenig neue Arbeitsplätze, um dieses Ziel zu erreichen. Der größte Teil des Weges zu einer flächendeckenden Versorgung war schon beschritten worden, zumal sich die Kooperation mit der Wohnungswirtschaft, mit der Seniorenwirtschaft und dem Sozialbereich erheblich gefestigt hat. Die Wohnberatung ist Teil des Versorgungssystems geworden.
[Bearbeiteter Auszug aus der Broschüre „15 Jahre Wohnberatung in Nordrhein-Westfalen“]