Ursula Monheim

Festveranstaltung
15 Jahre Wohnberatung in NRW

Ansprache von Ursula Monheim MdL, CDU-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen, zur Jubiläumsfeier anlässlich des 15-jährigen Bestehens der Wohnberatung in NRW am 7. Juni 2004 im Bachsaal in Düsseldorf

Sehr geehrter Herr Hengesbach,
sehr geehrte Frau Bank,
sehr geehrte Frau Tyll,
meine Damen und Herren,

recht kurzfristig habe ich die ehrenvolle Aufgabe übernommen, die heutige Festrede zu Ihrem Jubiläum zu halten – damit verbunden war die Vorbereitung fernab meiner Unterlagen im Landtag. Dennoch habe ich mich aus folgenden Gründen dazu entschieden:

  • Mein erster Kontakt – und fast alle weiteren – hatten damit zu tun, dass die Existenz der Wohnberatungsstellen gefährdet war oder zu sein schien.
  • Gleichzeitig zeigte sich bei der Auseinandersetzung mit dem Thema immer deutlicher der Wunsch der Betroffenen – und die Notwendigkeit – auch bei zunehmender Hilfsbedürftigkeit in den eigenen vier Wänden bleiben zu können. In diesem Kontext hat die Wohnberatung / Wohnanpassung eine zentrale Bedeutung.
  • Im Lichte der Ihnen allen bekannten demografischen Entwicklung wird diese Bedeutung noch deutlicher: Die neue Bevölkerungsprognose 2002 – 2020 – 2040 (Stand April 2004) des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik NRW erwartet eine besonders starke Zunahme bei der Altersgruppe der über 75-Jährigen.

Dagegen ist die Datenlage über die Wohnsituation älterer Menschen erschreckend gering. So kann die Landesregierung nicht beantworten, wie hoch z.B. der Anteil der barrierefreien Wohnungen in NRW ist. (Große Anfrage der CDU “Wohnen im Alter in NRW”, Drs. 13/5406). Umso dringender ist es daher, diese Problematik – bei der heutigen Veranstaltung – zu thematisieren und ins Bewusstsein der öffentlichkeit zu holen.

Nun zum Thema”Wohnberatung”:

Die demografische Entwicklung ist im Wesentlichen von zwei Merkmalen gekennzeichnet: Die Zahl der älteren Menschen nimmt zu – während die Zahl der jüngeren (damit auch der potentiellen Pflegepersonen) weiter abnimmt,

In den letzten Jahrzehnten ist nicht nur die Lebenserwartung gestiegen, es hat sich auch die Lebensqualität erheblich verbessert. Doch heute – da immer mehr Menschen 90 bis 100 Jahre alt werden – treten auch die Grenzen dieser Entwicklung zu Tage und das Leitmotiv der Gerontologie: “Add more life to years, not more years to life” scheint im hohen Alter immer weniger umsetzbar: Multimorbidität und Pflegebedürftigkeiten sind Begleiterscheinungen [Vorschlag: die unliebsamen Wegbegleiter] der Hochaltrigen. Umso mehr müssen die Anstrengungen darauf gerichtet sein, für die immer länger werdende Zeitspanne des sog. Dritten Alters dieses Mehr an Lebensqualität zu erreichen.

Viele Studien widmen sich dieser Lebensphase der jungen Alten, die häufig als “geschenkte Jahre” bezeichnet und auch so empfunden wird. Auch in unserer Gesellschaft hat sich – langsam – eine neue Sicht des Alters durchgesetzt: als ein komplexes Phänomen mit individuell sehr unterschiedlichen Prozessen.– Ein Verständnis, das nicht mehr wie früher von Verlusten, vor allem Rollenverlusten bestimmt ist, sondern zunehmend gesellschaftliche Stärken und Chancen wahrnimmt.

Dazu einige Stichworte: Betont wird die Eigenverantwortlichkeit des älter werdenden Menschen für ein selbstbestimmtes und sozial integriertes Leben. Zugleich eröffnen sich neue Möglichkeiten und Perspektiven: durch bessere materielle, soziale und höhere Bildungsressourcen. ältere Menschen werden umworben – um sich im freiwilligen Bereich zu engagieren; sie fordern stärkere politische Partizipation.

Eine bedarfsorientierte Politik muss diesen Entwicklungen Rechnung tragen und zugleich Rahmenbedingungen schaffen, möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben mit sozialen Kontakten zu führen – trotz zunehmender gesundheitlicher Einschränkungen und Verlusten an sozialen Bindungen.

Nur am Rande sei erwähnt, dass wir dringend eine stärkere Altersforschung brauchen, die die verschiedenen Risikofaktoren für körperliche und psychische Erkrankungen aufspürt und Erkenntnisse bereitstellt, diese Lebensphase zu stabilisieren und die Belastungen des hohen Alters zu mindern. Um auch hier mit einer nüchternen Zahl zu verdeutlichen, vor weicher Herausforderung wir stehen: Während bei den 60 bis 80- Jährigen nur etwa 5% pflegebedürftig sind, erreicht der Anteil bei den über 80-Jährigen 20% und steigt weiter. Es geht mit zunehmendem Alter nicht mehr nur darum, Krankheiten und Beeinträchtigungen zu vermeiden, sondern die damit verbundenen Folgen so in den Griff zu bekommen, dass möglichst lange ein selbständiges Leben im vertrauten Umfeld erhalten bleibt.

Wie das gelingen kann, ist in zahlreichen Studien untersucht worden. Es besteht – so die Aussagen – eine enge Verbindung zwischen Gesundheit, Prävention, Versorgung und Lebensqualität älter werdender Menschen mit den räumlichen, sozialen sowie infrastrukturellen Umweltbedingungen. In diesem Zusammenhang betonen die Studien übereinstimmend die wichtige Funktion der Wohnberatungsstellen und der Wohnraumanpassung.

Über die Beratungslandschaft in NRW generell und über die Wohnberatung im besonderen brauche ich hier niemanden zu informieren. Sie sind – weit mehr als ich – die Experten in diesem Feld. Doch wie ich zu Beginn bereits sagte:

In meiner Arbeit – vor allem in der Enquätekommission des Landtags “Zur Situation und Zukunft der Pflege in NRW” – stoße ich immer wieder auf die Aussage, wie wichtig es ist, dass auch bei nachlassender Gesundheit, bei eingeschränkter Mobilität und generell bei steigendem Hilfebedarf die eigene Häuslichkeit diesen Anforderungen entspricht.

Mit im Blick sind immer auch die pflegenden Angehörigen und hauptamtliches Pflegepersonal, für die oft erst durch notwendige Anpassungen und Umbaumaßnahmen Pflege über einen längeren Zeitraum in der angestammten Häuslichkeit möglich ist. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass auch im hohen Alter Pflege immer häufiger durch (Ehe-) Partner geleistet wird.

In dem aufgezeigten Feld verfolgt die Wohnberatung mehrere Ziele:

  1. Individuelle Beratung über Möglichkeiten und Formen des barrierefreien Wohnens – durch Gespräche, Hausbesuche, Analyse der jeweiligen Wohn-situation, Planung der Maßnahmen inkl. Finanzierungsmöglichkeiten. Dazu kommen Hilfe und Unterstützung bei der Umsetzung der Maßnahmen sowie das Aufzeigen anderer Wohnmöglichkeiten.
  1. Dies bringt Kompetenz – und mit dieser Kompetenz werben die Wohnberatungen in der Öffentlichkeit – damit Wohnberatung / Wohnanpassung möglichst frühzeitig stattfinden kann, denn als präventive Maßnahme ist sie am wirkungsvollsten. Stichwort: Sturzvermeidung. So erspart sie Kosten und unnötiges Leid und oft den Einstieg in Pflegebedürftigkeit.
  1. Diese Kompetenz berechtigt auch und befähigt für den Einsatz, den jahrelangen Kampf auf allen Ebenen für eine auskömmliche Finanzierung  damit die Existenz dieses Beratungsangebotes gesichert ist, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich auf ihre Arbeit konzentrieren können.
  1. Diese Kompetenz – schließlich – macht sie zu Ansprechpartnern für Institutionen und Wohnungsgesellschaften.
  1. Sie leisten Vermittlungs- und Vernetzungsarbeit, um selbständiges Wohnen und eigenständige Haushaltsführung im Stadtteil, der Kommune oder im Kreisgebiet zu schaffen.

Dies – in kurzen Schlaglichtern gebündelt – sind wesentliche Aufgaben der Wohnberatung. Zusammengefasst lässt sich als Ziel formulieren: Die Lebensqualität älterer und alter Menschen zu verbessern und / oder zu sichern – Pflegebedärftigen Menschen und Menschen mit Behinderung Erleichterungen im Alltag zu schaffen.

Die Enqutekommission würdigt die Arbeit – setzt sich aber auch kritisch mit der finanziellen Situation auseinander. Denn es gibt – um die Arbeit und damit die Wirkungen zu optimieren -eine Fälle von notwendigen und /oder wünschenswerten Verbesserungen:

  1. Die Finanzierung ist nach wie vor unbefriedigend. Mehr noch: die Beteiligung der Pflegebedärftigen an den Kosten der Beratung durch eine Beratungspauschale in Höhe von 306  ist kontraproduktiv. Da der zur Verfgung gestellte Betrag für die als notwendig erkannte Umbaumaßnahme um diese 306  reduziert wird, schreckt das viele potentielle Hilfesuchende ab. Das widerspricht der Intention des Gesetzes, weil es die Hemmschwelleerhöht.

Bei dem Thema Finanzierung muss der ökonomische Nutzen durch die Wohnberatung mit einbezogen werden. Dass es zu Einsparungen bei den Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern für die ambulante und stationäre Pflege kommt hat schon die wissenschaftliche Begleitstudie der Universität Bielefeld erwiesen.

  1. Es muss erreicht werden, dass viel früher auf die Notwendigkeit von Wohnraumanpassung verwiesen wird – sie ist am effektivsten als präventive Maßnahme.

Unter diesem Aspekt sind Erfahrungen anderer Länder – auch einzelner Kommunen in NRW – mit präventiven Hausbesuchen einzubeziehen und zu evaluieren.

  1. Schließlich kann der Verbleib in den eigenen vier Wänden bei steigendem Hilfebedarf nur gesichert werden, wenn es ein verlässliches Angebot verschiedener Dienstleistungen und Pflegeleistungen gibt. Hier bleibt noch viel zu tun!

Ich verweise in dem Zusammenhang auf die steigende Anzahl demenziell erkrankter Menschen: Durch Verlust der vertrauten Umgebung verschlimmern sich die Orientierungsstörungen, die ganz wesentlich zum Symptombild einer Demenz gehören.

  1. Sensibilisierung und Qualifizierung von Wohnungsanbietern im klassischen Sinn und Anbietern neuer Wohnformen. Hier muss verstärkt um die Bereitschaft geworben werden, bei Neubauvorhaben und Renovierungsmaßnahmen die Wohnbedürfnisse älterer, behinderter und pflegebedürftiger Menschen stärker zu berücksichtigen – und zwar über das Maß im geförderten Wohnungsbau hinaus.

Angesichts der aufgezeigten demografischen Entwicklungen müsste es sich eigentlich herumgesprochen haben, dass barrierefreie Wohnangebote ein Wettbewerbsvorteil sind – und zunehmend werden.

Doch es bleibt zunächst und auf lange Sicht die Aufgabe, den vorhandenen Wohnungsbestand an individuelle Bedarfe anzupassen, damit die Menschen auch bei steigendem Hilfebedarf in ihrer eigenen Häuslichkeit und im gewohnten sozialen Umfeld bleiben können; so wie es dem Wunsch der meisten Menschen entspricht. Das heißt: es bleibt viel zu tun für die Wohnberatungen, ihre Arbeit wird nicht weniger – dazu brauchen sie Unterstützung.

Darum möchte ich Ihnen – am heutigen Jubiläum – meinen Glückwunsch und herzlichen Dank für Ihren Einsatz aussprechen. Stellvertretend für alle Wohnberatungen dem Kreuzviertel-Verein und dem Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft, Herrn Theo Hengesbach. Was Sie, Herr Hengesbach, auszeichnet ist Ihr ungeheurer Fleiß. Davon künden alleine schon die Presseschauen – vor allem aber Ihre Bereitschaft und Ihr Geschick, über alle Grenzen hinaus Kooperationen und Verbündete zu suchen, um das Anliegen der Wohnberatung voran zu bringen.

Für die weitere Arbeit wünsche ich Ihnen und allen Akteuren Erfolg – und stets die notwendige Unterstützung.

Autor: Nadine David